Entstehung der Spritztechnik

Ende der 60er Jahre begann mein Vater, seine ihm eigene Spritztechnik zu entwickeln. Er benutzte dazu Spraydosen und aus Kartonagen zugeschnittene Schablonen.

Bei den ersten Versuchen arbeitete er mit zum Teil überlebensgroßen Figuren. Die notwendigen Schablonen stellte er durch Projizieren einer Person her. Durch Anstrahlen mit einer Lichtquelle wurde ihr Schatten auf ein Papier an der Wand hinter ihr geworfen. Die Umrisse des Schattens zeichnete mein Vater mit einem Stift nach. Danach schnitt er das skizzierte Modell aus. Durch Verschieben der Lichtquelle konnte er auch bewusst Verzerrungen der abgebildeten Figur erzielen. Die Schablonen legte er nun auf den Malgrund (meist Holz oder Karton) und besprühte sie mit Farbe aus Spraydosen. Die so entstandenen Umrisse bearbeitete er weiter. Häufiges Motiv waren Personen mit Fahrrad. (Auf den Bildern aus dem Atelier bin ich als Modell zu sehen.)

Durch Fotografieren der Modelle und späteres Projizieren ließen sich auch kleinere, maßstabsgetreue Schablonen herstellen.

Solche Verkleinerungen verwendete er auch bei einer Art Collagetechnik für kleinformatige „Radfahrerbilder“, bei denen er Ausschnitte aus Katalogen und Zeitschriften bearbeitete.

Neben dieser Arbeit mit Modellen benutzte mein Vater die Spritztechnik auch für abstrakte Darstellungen. Die Idee dazu kam ihm, als Sonnenlicht durch eine halbgeschlossene Jalousie fiel und ein Muster aus Licht und Schatten auf seinen Arbeitstisch zeichnete. Auf dieses Muster legte mein Vater gerade geschnittene Schablonen. Anschließend schuf er durch Besprühen mit Farbe ein geometrisches Abbild der Strukturen des Licht- und Schattenspiels, das er weiter bearbeitete.

Später fügte mein Vater Kreisformen hinzu. Besonders interessierte ihn dabei die Spannung zwischen eckigen Formen und Kreis.

Besonders angeregt wurde er durch die Möglichkeit der räumlichen Darstellung. Die Kugel wurde nun eines seiner Hauptthemen. Waren seine Bilder bisher nur mit Sprayfarben hergestellt worden, so wurden sie nun durch Hinzufügen von Sand/Kies und Spachtelmasse in ihrer Erscheinung noch plastischer.

Sein Interesse an der Physik und speziell der Weltraumforschung brachte ihn dazu, die Formen nun offener zu gestalten, bis hin zur Darstellung einer Supernova.

Durch diese Bilder und die Beschäftigung mit dem Weltraum
kam er in Kontakt mit verschiedenen Physikern, u. a. mit Prof. Dr. Michael Soffel (Uni Dresden)

Die Bilder erreichten nun größere Formate und scheinen unendlich erweiterbar zu sein. So wie es im Weltall kein Oben und Unten gibt, so ist auch bei den großen, mehrteiligen Bildern (mein Vater konnte wegen der fehlenden Hände und der dadurch begrenzten Reichweite nur einzelne Bilder bis zu einer bestimmten Größe bearbeiten) weder ein Oben und Unten noch irgendeine Begrenzung zu erkennen.

Tübingen, Sommer 2008, Stefan Mundinger